Studie

Emotionen auf der Tonspur

Die Rolle von Musik in der Werbung wird unterschätzt. Ein neuer Studienansatz dokumentiert den starken Einfluss auf die Werbewirkung.

 

Wenn Sie sagen können, an welches Werbelied aus dem Fernsehen Sie sich noch erinnern, steht fest, zu welcher Fernsehgeneration Sie gehören. Wer von den vor 1980 Geborenen könnte nicht den Song vom "Zott Sahne Joghurt" nachsingen? Oder das "Käpt’n Iglo"-Lied? Das Wiedererkennen von Liedern und die Verknüpfung mit Absendermarken unterliegt kaum dem Vergessen, ähnlich wie Gerüche. Marken, die ihre Anker akustisch in der Kindheit der Verbraucher festgemacht haben, profitieren ein Leben lang von dieser Investition. Musik ist einer der stärksten Emotionalisierer, die man sich denken kann.
 

Ton bringt Leben in den Spot
 

Um dem Einfluss der Musik auf die Werbewirkung zu untersuchen, wurde vom Kölner Institut september Strategie & Forschung eine Studie mit 80 Schulkindern durchgeführt. Als Stimulusmaterial dienten verschiedene TV-Spots für die Kinder- bzw. Familienzielgruppe.

So sah z. B. ein Teil der Probanden einen Werbespot von Toffifee mit Ton (einem emotionalen Gitarrensong), die anderen schauten sich den Spot ohne Tonspur an und sahen emotionale, aber stumme Bilder einer glücklichen Familie. Die Reaktionen wurden mittels der psychophysiologischen heart.facts-Methode gemessen, die Teilnehmer wurden im Anschluss tiefeninterviewt.

Das Resultat war eindeutig. Die gemessenen biometrischen Signale, die von september zu emotionalen KPI verdichtet wurden, zeigten ohne Ton eine relativ flache Dramaturgie: Das seelische Erleben war verhältnismäßig schwach ausgeprägt. Die Ergebnisse aus der Messung mit Ton hingegen zeigten ein äußerst bewegtes Bild (s. Abbildungen). Musik bringt Bewegung in die Seele.
 

Kinder (wie auch Erwachsene) reagieren stark auf Musik, Sounduntermalung, Jingles oder verschiedene Sprecherstimmen. Dabei fällt auf: Spielt die Musik im Spot eine prägnante Rolle, kann sie nicht nur ausgeprägte emotionale Nähe bewirken, sondern auch zu gesteigerter Wahrnehmung von Relevanz und Attraktion führen. Das zeigte sich an den getesteten Spots von Iglo, Miracoli, Nimm2 Soft und Paula, in denen musikalische Elemente die Kinder zum Mitmachen animierten.
 

Mitreißende Musik aktiviert
 

Das alte "Käpt’n Iglo"-Lied von 1988 ist eine Abwandlung eines Marsches von 1863, der stark motivierende, mitreißende Elemente beinhaltet. Beides passt zur Mannschaft des Iglo-Schiffs und zur Story des Kapitäns passt. Der bekannte Miracoli-Song (im getesteten Spot wird nur die Melodie gesungen und gepfiffen) ist ebenfalls eine Aufforderung und basiert auf einem süditalienischen Gruppentanz, der Tarantelle. Die mitreißende Melodie passt psychologisch hervorragend zur Thematik, sich gedanklich an einen italienischen Tisch zu einer großen Familie zu setzen und zu feiern. Ebenso motivierend ist der Jive "Lollipop", der als Grundlage für das Lied im TV-Spot für Nimm2 Soft fungiert: auch hier ein einladender, motivierender Tanz mit der einzigen Liedzeile "Das macht Plopp".

Wie sehr die Tonspur zum Mitmachen aktivieren kann, lässt sich auch wunderbar am Spot zu Paula von Dr. Oetker beobachten: Kinder singen den Song "Die Paula ist ne Kuh …" wortgetreu mit. Als Sprechmelodie erinnert er eher einen Poetry Jam als an ein Kinderlied – und verleiht so dem Spot ein cooles Element.

Musik als Klangteppich
 

Nicht immer sollte Musik prägnant im Vordergrund stehen. Wenn das Produkt erklärungsbedürftig ist, sollte die Stimme des Off-Sprechers im Vordergrund bleiben. Musik bildet dann einen Klangteppich, der eine Stimmung und Atmosphäre erzeugt, die emotional zum Produkt passt. Im jüngsten Gravitrax-Werbespot reißen schnelle, instrumentale Rhythmen den Zuschauer mit, während die Kugel in rasanten Bildsequenzen durch die Bahn fliegt. Generell, so zeigen die Analysen der Kinderspots, reduziert Musik die Skepsis während der Spot-Rezeption.
 

Die Stimme macht die Stimmung
 

Die Auswahl von Sprecherinnen und Sprechern in der Werbung geht oftmals auf den persönlichen Geschmack des Entscheiders zurück, sind also eine Bauchentscheidung. Generell ist gegen Bauchentscheidungen nichts einzuwenden – allerdings ist die Musik-Forschung in der Lage, ein paar Fakten und psychologische Insights beizusteuern.
So haben Kinderstimmen (Junge, Mädchen) und Erwachsenenstimmen (Mann, Frau) auf Kinder große, aber durchaus differenzierte Wirkungen.

Kinderstimmen symbolisieren grundsätzlich ein "gutes Ende", denn psychologisch decodieren Kinder die Stimmen anderer Kinder als ungefährlich und risikolos. Auf Eltern wirken Kinderstimmen sowieso unschuldig und harmlos und ganz besonders lebensfreudig.  Mädchenstimmen können Produkten und Marken ein verträumtes, gefahrloses Image verleihen. Sie eignen sich besonders gut für Rollenspiele bei entsprechenden Spielzeugen. 

Jungenstimmen hingegen verheißen Abenteuer und Spannung, allerdings ohne echtes Risiko. Die psychologische Botschaft lautet: Hier kann man sich austoben, und zwar in sicherem Rahmen. Dies ist vor allem eine gute Botschaft für die Eltern, sofern sie den Spot auch wahrnehmen. 

Hören sie Spots mit Kinderstimmen schließen Kinder daraus, dass das Produkt auch bei ihren Peers ankommen wird (die Verwendung des Produkts also akzeptiert ist) und Eltern gehen davon aus, dass sich Kinder mit dem Produkt selbstständig beschäftigen können.
 


Mütterliche Geborgenheit beim Tigerspielzeug
 

Der Einsatz von Frauenstimmen bei Kinderprodukten wird mit mütterlicher Fürsorge konnotiert. Handelt es sich allerdings um Produkte, die Kinder für ihre Emanzipation (Selbstständigkeit, Rebellion etc.) brauchen und wollen, ist eine Frauenstimme eher kontraproduktiv. 

Männerstimmen hingegen stehen für Action und Risiko: der Ausgang ist ungewiss. Das erhöht den Thrill, was gerade ältere Kinder anspricht. Jüngere Kinder und Eltern kann dies allerdings leicht abschrecken. Männerstimmen implizieren auch Wettbewerb und Machtkämpfe "im Rudel" der Peers – ein stereotypes "Jungs"-Thema.
 

Jingles als bewährte Gedächtnishilfe
 

Jingles sind seit jeher ein bewährtes Mittel in der Fernseh- und Radiowerbung, wenn Markennamen im Gedächtnis der Verbraucher verankert werden sollen. Die Studie zeigt aber, dass Jingles sowohl vom emotionalen Tenor her sinnvoll konzipiert, als auch vom Timing her produktiv platziert werden sollten. Jingles werden häufig am Ende eines Spots platziert. Sie sollen das Angebot abrunden, indem sie einen Qualitätsgarant hinzufügen und in Erinnerung rufen, bei oder von wem das (teilweise auch schon austauschbare) Produkt zu haben ist. Jingles, die am Schluss von Spots platziert sind, können aber das Risiko bergen, das davor Gelernte teilweise zu überschreiben. Gerade bei Marken mit einer sehr großen Auswahl von ähnlichen Produkten bleibt Kindern nach der Rezeption oft nur noch der Markenname haften, aber nicht mehr die zuvor kommunizierten Propositions zum Produkt. 
Steht das Jingle hingegen am Anfang des Spots, kann dies die Funktion einer Anmoderation übernehmen. Kindliche Zuschauer lernen: jetzt kommt etwas von einer bestimmten Marke.
 

Psychoakustik, eine vielversprechende Disziplin
 

Das Feld der zu erforschenden Wirkungen von Musik, Sprechern, Jingles usw. ist groß und spannend, gerade weil es bislang so wenig Erkenntnisse darüber gibt. Ziel der Forschung ist es, Guidelines aufzustellen und die Gestaltung der Tonspur in Spots als eigene Disziplin mit eigenen Herausforderungen zu verstehen. 

Über diese Studie

Jahr
2018
Thema
Zielgruppen
Spezifikation
Emotion
Kreation
KPI
Werbemittelbewertung
Methode
Experiment
physiologische/technische/...Messung
Medien
TV
Land
DE
Auftraggeber
Ad Alliance